(Stuttgart) Zeigt ein Arbeitnehmer bei der Staatsanwaltschaft einen Sachverhalt wegen Unregelmäßigkeiten im Betrieb an, ist dies für sich genommen kein Kündigungsgrund.
Diese fasst der Kölner Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Görzel, Leiter des Fachausschusses „Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmung“ des VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart.
Kündigung bei Whistleblowing: Die Arbeitnehmerin war als zweite Vorsitzende bei einem Verein tätig. Dabei hatte sie im Papierkorb des Mail-Postfachs 700 Bestellungen des ersten Vorsitzenden gefunden, die sie dem Vereinszweck nicht zuordnen konnte. Daraufhin erstattete die zweite Vorsitzende Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft.
- Arbeitgeber kündigte nach Whistleblowing
Als Reaktion darauf kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis sowohl ordentlich als auch außerordentlich. Außerdem stellte der Verein einen Auflösungsantrag und bot eine Abfindung an. Die Arbeitnehmerin wehrte sich gegen die Kündigungen vor Gericht und erhob Klage.
- Gericht: Kündigung bei Whistleblowing unwirksam
Das Landesarbeitsgericht entschied, dass eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keine Pflichtverletzung und damit auch keinen Kündigungsgrund darstellt, wenn der Arbeitgeber sich strafbar gemacht hat. Dabei stellte das Gericht folgende Grundsätze auf: Die Strafanzeige darf keine unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers sein. Ferner sollte das strafbare Verhalten entweder dem Vorgesetzten oder der zuständigen internen Stelle gemeldet werden. Diese Voraussetzung gilt allerdings dann nicht, wenn der Arbeitgeber selbst die Straftaten begangen hat. Eine Pflicht zur innerbetrieblichen Klärung trifft den Arbeitnehmer nicht, wenn keine Abhilfe zu erwarten ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist die Kündigung unwirksam.
Das Gericht erkannte, dass hier alle der dargelegten Voraussetzungen vorlagen. So musste die Arbeitnehmerin gerade deshalb keine interne Klärung bemühen, weil der der Vorsitzende sich hier unter Umständen selbst strafbar gemacht hat. Aufgrund des Verhältnisses der Klägerin und der Beklagten, das durch persönliche Feindschaft und Machtkampf geprägt war, löste das Gericht das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG gegen Abfindung auf.
- Folgen für die Praxis
Durch das neue Hinweisgeberschutzgesetz wäre es in diesem Falle wahrscheinlich nicht zur Kündigung gekommen, denn dieses Gesetz ist genau auf solche Konstellationen zugeschnitten. Aber auch ohne dieses Gesetz galt, dass Arbeitnehmer keine Pflichtverletzung begehen, wenn sie bei ausreichender Tatsachengrundlage eine Anzeige gegen den Arbeitgeber erstatten, wenn dies eine angemessene Reaktion darstellt.
Görzel empfahl, dies zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA-Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.
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