Erkrankungen sind regelmäßig Privatsache des Arbeitnehmers, aber gilt dies auch für eine HIV-Infektion?
(Stuttgart) Nach einem Pressebericht steht eine HIV-Infektion in Frankreich dem Dienst als Soldat nicht mehr entgegen. Wie ist die Rechtslage hier in Deutschland: Müssen Mitarbeiter eine HIV-Infektion ihrem Arbeitgeber gegenüber offenlegen und drohen dem infizierten Beschäftigten dann arbeitsrechtliche Konsequenzen? Im Grundsatz nicht – auch eine Infektion mit HIV bleibt zumeist Privatsache, fasst der Hamburger Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott die Rechtslage zusammen.
Bundesarbeitsgericht 2013: Infektion als Behinderung
Die Mitteilung über eine erfolgte HIV-Infektion ist für den Betroffenen eine einschneidende Botschaft. Auch wenn die Medizin in den letzten Jahren bei der Behandlung weite Fortschritte gemacht hat und die Infektion im alltäglichen Kontakt für Dritte völlig harmlos ist, sehen sich Infizierte weiterhin oftmals noch mit einer gesellschaftlichen Ausgrenzung durch Dritte konfrontiert.
Daher hatte auch das Bundesarbeitsgericht (Urt. 19.12.2013, Az.: 6 AZR 190/12) im Jahr 2013 in seiner höchstrichterlichen Entscheidung zu Gunsten eines gekündigten HIV-Infizierten entschieden, der von seinem Arbeitgeber wegen der Gefahr von Ansteckungen in der Probezeit gekündigt worden war. Die Richter sahen den pauschalen Verweis auf Infektionsgefahren aber nicht als ausreichend an, da so „bloß diffusen Befürchtungen“ Vorschub geleistet werde. Selbst eine (auch noch symptomlose) HIV-Infektion könne zudem eine Behinderung im Rechtssinne darstellen. Dies gelte jedenfalls solange das „auf eine solche Infektion zurückführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern“, so die Ausführungen der höchsten deutschen Arbeitsrichter.
Grundsatz: Frage nach HIV unzulässig
„Die Frage eines Unternehmens nach Vorliegen einer HIV-Infektion im Vorstellungsgespräch oder im laufenden Arbeitsverhältnis ist daher regelmäßig unzulässig“, erläutert Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. Bewerber könnten auf die Frage in der Regel wahrheitswidrig antworten. Es drohten keine juristischen Konsequenzen wie eine fristlose Kündigung oder ähnliches, wenn auf die Frage hin gelogen werde.
Selbst wenn der Arbeitgeber später von der Infektion erfahre und daraufhin dem Arbeitnehmer kündige, so könne sich dieser nicht nur erfolgreich gegen die Kündigung wehren, sondern zusätzlich Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen erfolgter Diskriminierung geltend machen.
„Da im normalen betrieblichen Miteinander und alltäglichen Kontakt mit einem HIV-Infizierten keine Ansteckung droht, bleibt das Vorliegen einer Infektion reine Privatsache“, so der Hamburger Arbeitsrechtsanwalt Fuhlrott. „Die Situation ist hier also wesentlich anders als bei Vorliegen einer für Kolleginnen und Kollegen auch im normalen Kontakt ansteckenden Corona-Infektion“, die offenbart werden müsste.
Ausnahme: Konkrete Beeinträchtigung der Arbeitsleistung
Relevant wird die HIV-Infektion damit nur, wenn dadurch die konkrete Ausübung der Tätigkeit beeinträchtigt wird. In fast allen Berufen, selbst im medizinischen oder pflegenden Bereich, ist dies nicht (mehr) automatisch der Fall.
Allerdings sind Ausnahmen von diesem Grundsatz möglich. Dafür muss der Arbeitgeber aber eine konkrete Risikoermittlung durchführen und darlegen, warum die Infektion einer Beschäftigung entgegensteht. „Dies kann durch das Berufen auf tätigkeitsbedingt konkret entstehende Infektionsrisiken oder bei Beeinträchtigungen der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung der Fall sein“, erklärt Arbeitsrechtler Fuhlrott.
Was gilt für Chirurgen, Pilotinnen oder Vertriebsmitarbeiter?
Denkbar sei dies etwa bei einem Chirurgen, der mit scharfem Skalpell operiert: Hier ist bei Selbstverletzungen im Rahmen einer Operation an offenen Wunden eine Ansteckungsgefahr nicht ausgeschlossen, so dass eine Frage nach einer Infektion an den Operateur zulässig sein kann. Im Einzelfall ist dies aber eine medizinische Frage: Wenn aufgrund medikamentöser Behandlung und der geringen Viruslast eine Ansteckung ausscheidet, kann anderes gelten.
Auch bei einer HIV-infizierte-Pilotin, die auf internationalen Flügen eingesetzt ist, und aufgrund ihrer Infektion in bestimmte Länder aufgrund dortiger Vorgaben nicht einreisen, darf, kann die Tätigkeitsausübung beeinträchtigt sein. Gleiches gilt für einen Vertriebsmitarbeiter, der ein Land betreuen soll, das die Einreise von HIV-Infizierten nicht zulässt. „In diesen Fällen wäre es nicht möglich, die arbeitsvertragliche Tätigkeit auszuüben. Dann kann die Frage nach einer Infektion erlaubt und womöglich auch eine Kündigung wegen fehlender Eignung für die Tätigkeit ausnahmsweise in Betracht kommen,“ so der Fachanwalt für Arbeitsrecht Fuhlrott.
Zulässige Kündigung wegen Krankheitsfolgen
Einschränkend sei zudem zu beachten, dass diese Aussagen nur für die folgenlose HIV-Infektion gelten: „Ist nach einer fortgeschrittenen Infektion das Krankheitsbild AIDS eingetreten und fällt der Mitarbeiter häufiger krankheitsbedingt aus, ist eine Kündigung nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen denkbar“, so Arbeitsrechtler Fuhlrott.
Danach dürften Unternehmen einen Mitarbeiter auch wegen Krankheit kündigen, wenn aufgrund der Vielzahl der krankheitsbedingten Fehlzeiten das Vertragsverhältnis nachhaltig gestört und die Gesundheitsprognose negativ ist. „In einem solchen Fall erfolgt die Kündigung aber dann nicht wegen der Infektion, sondern den Erkrankungsfolgen“, so Arbeitsrechtler Prof. Dr. Fuhlrott abschließend.
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