(Stuttgart) Die Corona Krise wird zur Zerreißprobe für viele Wirtschaftszweige. Während sich einige Branchen über die bereits beschlossenen Lockerungen freuen, sehen sich andere Unternehmen immer noch der Herausforderung ausgesetzt, dass ihre Betriebe teilweise oder vollständig zum Erliegen gekommen sind. Deutschlandweit sind daher weiterhin 10,1 Millionen Menschen im Kurzarbeitergeld.
Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation denken auch immer mehr Arbeitgeber über Entlassungen nach. Wie sehen die rechtlichen Voraussetzungen dafür aus? Sind betriebsbedingte Kündigungen wegen der Corona-Krise überhaupt möglich?
Das erläutert der Kölner Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Görzel, Leiter des Fachausschusses „Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmung“ des VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart.
– Zunächst mildere Mittel wählen
Kündigungen sollten für den Arbeitgeber stets das letzte Mittel der Wahl sein. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber gehalten, sich zunächst Gedanken über Alternativen zu machen. Derzeit gibt es vom Staat umfangreichen Finanzhilfen und die Möglichkeit Kurzarbeitergeld zu beantragen. Sollte es im Anschluss einer Kündigung zu einem Kündigungsschutzprozess kommen, werden im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mögliche Alternativen geprüft. Das Arbeitsgericht prüft, ob auch ein milderes Mittel als die Kündigung des Arbeitnehmers zur Verfügung gestanden hätte, das ebenfalls geeignet gewesen wäre, den Betrieb zu retten.
-Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes müssen vorliegen
Arbeitnehmer werden durch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geschützt. Ist dieses Gesetzes anwendbar, so kann der Arbeitgeber ein bestehendes Arbeitsverhältnis nur dann ordentlich kündigen, wenn ein Kündigungsgrund vorliegt. Um wirksam kündigen zu können, bedarf es einer
- verhaltensbedingten
- personenbedingten
- oder betriebsbedingten Kündigungsgrundes
Bei Kündigungen aufgrund wirtschaftlicher Probleme infolge der Corona-Pandemie wird entscheidend sein, ob ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegt.
– Grundsätzliches zur betriebsbedingten Kündigung
§ 1 Abs. 2 KSchG setzt voraus, dass für eine wirksame betriebsbedingte Kündigung, dass dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im betroffenen Betrieb dauerhaft unmöglich machen. ein dringendes betriebliches Erfordernis kann bei Auftragsmangel oder Umsatzrückgang, aber auch aufgrund interner Gründe wie etwa Umstrukturierungen oder Organisationsänderungen bestehen. Wichtig ist insgesamt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung feststeht, dass der Beschäftigungsbedarf dauerhaft entfällt.
Gerade die Dauerhaftigkeit des Wegfalls dürfte derzeit im Einzelfall schwer zu begründen sein, da noch unklar ist, wie lange die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie andauern werden. Deswegen ist es für die Unternehmer zumindest derzeit noch schwierig, vorherzusagen, wie lange ihnen Aufträge wegbrechen oder Betriebsschließungen aufrecht erhalten bleiben. Daher bedarf es gewichtiger Gründe, um den Nachweis zu führen, dass der Wegfall der Arbeitsplätze dauerhaft sein wird.
-Der zweite Schritt: Alternativer Arbeitsplatz im Betrieb?
Zudem muss der Arbeitgeber vor einer betriebsbedingten Kündigung prüfen, ob andere freie Arbeitsplätze im Betrieb vorhanden sind, die die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters ermöglichen. Sind freie Arbeitsplätze im Betrieb vorhanden und könnte der Arbeitnehmer auf einem davon weiterbeschäftigt werden, so ist keine wirksame betriebsbedingte Kündigung möglich!
-Sozialauswahl treffen- aber wie?
Bei dauerhaftem Wegfall von Arbeitsplätzen ohne Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in anderen Bereichen muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl treffen. Innerhalb der Vergleichsgruppen werden üblicherweise für folgende Kriterien Sozialpunkte vergeben:
- Mit der Sozialauswahl wird festgelegt, nach welchen sozialen Kriterien die Mitarbeiter bestimmt werden, die von einer Kündigung betroffen sind.
- Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- Lebensalter,
- Unterhaltspflichten (verheiratet und/oder Kinder),
- Schwerbehinderung.
Die Sozialauswahl soll sicherstellen, dass nicht jeder ältere, verheiratete, schwerbehinderte, unterhaltsverpflichtete oder einfach auch nur unliebsame Arbeitnehmer in Krisenzeiten wirksam gekündigt werden kann.
In einem möglichen Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber nämlich die Auswahl anhand der Kriterien der Sozialauswahl darlegen. Regelmäßig werden von einer betriebsbedingten Kündigung daher eher junge, unverheiratete und gesunde Mitarbeiter betroffen sein, die noch nicht lange im Unternehmen beschäftigt sind.
Grundsätzlich ist es aber möglich, einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen, die z.B. besondere Kenntnisse oder Leistungen haben.
-Spezielle Vorgaben bei Massenentlassungen
In Betrieben, die mehr als 20 Mitarbeitern haben, muss bei der Entlassung von mehreren Mitarbeitern noch der 17 KSchG beachtet werden. Vor der Zustellung der Kündigungserklärung kann nämlich eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit nötig sein.
–Form und Frist einer betriebsbedingten Kündigung
Die betriebsbedingte Kündigung muss schriftlich erfolgen und dem Empfänger im Original zugehen. Wirksamkeit entfaltet sie zudem erst bei Zugang bei Betroffenen.
Dass die Kündigung tatsächlich auch beim Arbeitnehmer zugegangen ist, muss grundsätzlich vom Arbeitgeber bewiesen werden.
Zudem muss die Kündigungsfrist eingehalten werden. Diese ist regelmäßig in den Arbeitsverträgen festgelegt. Soweit dies nicht der Fall ist finden die gesetzlichen Fristen Anwendung. Bei bestimmten Mitarbeitern kann zudem die Anhörung des Betriebsrats notwendig sein oder bei Arbeitnehmern mit einer attestierten Schwerbehinderung in der Einholung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.
Görzel empfahl, dies zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.
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Volker Görzel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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