Arbeitsgericht weist Anträge auf Beschäftigung ungeimpfter Pflegekräfte zurück
(Stuttgart) Während die allgemeine Impflicht in Deutschland zunächst gescheitert ist, gilt in vielen Einrichtungen des Pflege- und Gesundheitssektors weiterhin eine Impfpflicht. Behörden können im Einzelfall die Tätigkeit ungeimpfter Mitarbeiter verbieten. Aber auch ohne behördliches Verbot darf ein Arbeitgeber seine ungeimpften Mitarbeiter freistellen, entschied das Arbeitsgericht Gießen in einem aktuellen Fall.
Die Rechtslage stellt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.
Einrichtungsbezogene Impfpflicht
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht in § 20 a eine sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht vor. Danach dürfen u.a. in Krankenhäusern, Rettungsdiensten, Pflegeheimen, Seniorenheimen, Arztpraxen oder der ambulanten Pflege grundsätzlich nur Personen beschäftigt werden, die vollständig geimpft sind. Maßgeblicher Stichtag im Gesetz war der 15.03.2022. Die Beschäftigung nach diesem Tag eingestellter ungeimpfter Personen ist grundsätzlich unzulässig. Bis zum 15.03.2022 eingestellte Mitarbeiter müssen ihren Impfstatus gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen. Sind sie ungeimpft, teilt die Einrichtung dies dem zuständigen Gesundheitsamt mit. Dieses kann dann ein Beschäftigungsverbot verhängen.
Beschäftigungsverbot auch ohne behördliche Anordnung möglich?
„Bislang war ungeklärt, ob Arbeitgeber auch ohne ein solches behördliches Verbot ihre ungeimpften Mitarbeiter von der Arbeit freistellen dürfen“, so Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. Einen solchen Fall hatte nunmehr das Arbeitsgericht Gießen zu entscheiden. Ein Wohnbereichsleiter und eine Pflegefachkraft in einem Seniorenheim konnten keinen Impf- bzw. Genesenennachweis vorlegen. Die Leitung des Seniorenheims stellt die beiden Mitarbeiter daraufhin von der Arbeit gegen ihren Willen frei. Dagegen klagten die beiden Mitarbeiter und machten gerichtlich im Wege einer einstweiligen Verfügung ihre weitere Beschäftigung geltend.
Arbeitsgericht Gießen: Arbeitgeber dürfen Freistellungen anordnen
Das Arbeitsgericht Gießen (Urt. v. 12.4.2022, Az.: 5 Ga 1/22 und 5 Ga 2/22) gab dem Arbeitgeber in diesem Fall nunmehr Recht: Zwar ergebe sich aus dem Gesetz ein unmittelbares Beschäftigungsverbot nur für ab dem 16.03.2022 neu eingestellte Personen und nicht für schon bislang beschäftigte Personen. Einem Arbeitgeber stehe es aber „unter Zugrundelegung der gesetzlichen Wertungen des § 20 a IfSG im Rahmen billigen Ermessens frei, im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner eines Seniorenheims Beschäftigte, die weder geimpft noch genesen sind und der Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nicht nachkommen, von der Arbeitsleistung freizustellen“ (Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Gießen Nr. 1/22).
Arbeitsrechtler: Entscheidung überzeugt, aber Folgefragen offen
Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott überzeugt die Entscheidung: „Der Gesundheitsschutz der Heimbewohner überwiegt in solchen Fällen das Beschäftigungsinteresse der Mitarbeiter. Darauf kann und muss ein Arbeitgeber reagieren und Freistellungen aussprechen“.
Fuhlrott weist aber darauf hin, dass das Gericht in seiner Entscheidung allerdings keine Aussage dazu traf, ob für die Zeit der arbeitgeberseitig angeordneten Freistellung auch der Anspruch auf die Vergütung entfällt. Dies dürfe nach Einschätzung des Fachanwalts aber die Folge sein: „Der ungeimpfte Arbeitnehmer ist in rechtlicher Hinsicht nicht in der Lage, die vertraglich geschuldete Tätigkeit vollständig zu erbringen. Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“. Damit besteht in solchen Fällen kein Zahlungsanspruch“.
Ob ungeimpften Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen zudem gekündigt werden kann, hat das Gericht ebenfalls nicht entschieden. „Jedenfalls bei behördlichen Tätigkeitsverboten wird dies aber eine zulässige Option für den Arbeitgeber sein“, so Arbeitsrechtler Fuhlrott.
Fuhlrott empfiehlt Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Fragen zur Impfpflicht Rechtsrat einzuholen, wobei er dazu u.a. auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.
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