(Stuttgart) Nach Entscheidungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts kann ein schwerbehinderter Bewerber um einen ausgeschriebenen Arbeitsplatz eine Entschädigung verlangen, wenn der Arbeitgeber ihn wegen seiner Behinderung benachteiligt hat.

Darauf verweist der Frankfurter Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Norbert Pflüger, Vizepräsident des VdAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart,  unter Hinweis auf die am 30.10.2009 veröffentlichten Urteile des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 28.08.2009, Az.: 19/3 Sa 340/08 und 19/3 Sa 1636/08.

Zur Widerlegung der Benachteiligungsvermutung könne sich der Arbeitgeber jedoch auf alle geeigneten objektiven Tatsachen berufen. Daran sei er durch eine fehlende Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht gehindert. Ein öffentlicher Arbeitgeber könne sich allerdings nur auf solche Auswahlgründe stützen, die dokumentiert seien. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens sei zwar die Ergänzung, nicht aber die Nachholung der Dokumentation zulässig (19/3 Sa 1636/08).

Nach einer weiteren Entscheidung (19/3 Sa 340/08) ist die verzögerte Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen allein nicht geeignet, die Vermutung der Benachteiligung wegen einer Behinderung zu begründen, wenn die Schwerbehindertenvertretung noch so rechtzeitig unterrichtet wird, dass sie bei der Vorauswahl die Belange der schwerbehinderten Bewerber vertreten kann. Auch bestünden die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 7-9 SGB IX nur, wenn der Arbeitgeber seine gesetzliche Beschäftigungspflicht nicht erfülle. Grundsätzlich folge weder aus § 15 AGG noch aus § 242 BGB ein Anspruch des abgelehnten Bewerbers auf Mittelung der Gründe.

Hintergrund beider Entscheidungen, so Pflüger, waren mehrere Klagen eines behinderten Stellenbewerbers gegen öffentliche Arbeitgeber, die seine Bewerbungen abschlägig beschieden hatten. Daraufhin hatte der abgelehnte Bewerber Entschädigungsansprüche wegen Benachteiligung aufgrund seiner Behinderungen gegenüber den Arbeitgebern gerichtlich geltend gemacht.

Das Hessische Landesarbeitsgericht wies in der einen Entscheidung 19/3 Sa 340/08 darauf hin, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch mangels Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht zustehe.

Zwar kann nach § 15 Abs. 2 AGG bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen..

§ 81 Abs. 1 SGB IX lege dem Arbeitgeber Pflichten über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren auf und die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei grundsätzlich geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen Behinderung zu begründen. Allerdings rechtfertige die verzögerte Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen allein nicht die Vermutung einer Benachteiligung, wenn sie – wie vorliegend geschehen – noch so rechtzeitig erfolgt sei, dass diese bei der Vorauswahl der Bewerbungen die Belange des behinderten Bewerbers vertreten könne.

Auch auf dem Umstand der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, der nur bei einem öffentlichen Arbeitgeber eine Tatsache darstellt, die geeignet ist, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung zu begründen, habe der Kläger den Anspruch nicht stützen können. Denn diese Verpflichtung bestehe nicht, wenn der schwerbehinderte Bewerber für die ausgeschrieben Stelle offensichtlich nicht geeignet sei. Diese Feststellung sei anhand eines Vergleichs des für die zu besetzende Stelle bestehenden Anforderungs- mit dem Leistungsprofil des behinderten Bewerbers zu ermitteln. Die fachliche Eignung fehle, wenn der Bewerber über die für die zu besetzende Stelle bestehenden Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen oder sonstige Voraussetzungen, wie z.B. die nach der Stelle geforderten ausreichenden praktischen Erfahrung nicht verfüge.

In dem weiteren Verfahren (19/3 Sa 1636/09) sprach das Berufungsgericht dem Kläger hingegen eine Entschädigung in Höhe eines Monatsgehaltes zu, da der öffentliche Arbeitgeber ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Der Arbeitgeber konnte sich in diesem Fall nicht darauf berufen, dass der Bewerber für die zu besetzende Stelle offensichtlich nicht geeignet sei, da die nach dem Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung geforderten Voraussetzungen in seiner Person vorlagen. Insoweit müsse der öffentliche Arbeitgeber sich an dem Wortlaut seiner Stellenausschreibung festhalten lassen.

Im Übrigen sah das Berufungsgericht die Klage des abgelehnten Bewerbers auch nicht als rechtsmissbräuchlich an. Zwar könne einer Entschädigungsklage der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen gehalten werden, wenn die Bewerbung nicht subjektiv ernsthaft, sondern nur zum Zweck des Erwerbs von Entschädigungsansprüchen erfolge. Allerdings hätten vorliegend keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger sich nicht subjektiv ernsthaft beworben habe. Er sei für die Stelle nicht objektiv ungeeignet und habe eine auf die Stellenausschreibung zugeschnittene Bewerbung abgegeben. Aufgrund der Kündigung seines früheren Arbeitgebers habe er mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen müssen, so dass auch die Zahl von 120 Bewerbungen innerhalb von zwei Jahren nicht gegen die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbungen spreche.

Pflüger empfahl, diese Urteile  zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.    

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