(Stuttgart) Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht.

Das, so der Hannoveraner Fachanwalt für Arbeitsrecht Armin Rudolf vom VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 19. Februar 2015 – Az. 8 AZR 1007/13 – entschieden.

Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem eine Arbeitnehmerin als Sekretärin der Geschäftsleitung eines Unternehmens tätig war. Etwa acht Monate nach ihrer Einstellung blieb sie der Arbeit zunächst wegen Bronchialerkrankungen fern. Sie fehlte etwa zwei Monate. In dieser Zeit legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Zuerst handelte es sich um vier Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eines Facharztes für Allgemeinmedizin. Anschließend legte sie zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einer Fachärztin für Orthopädie vor. Ihr direkter Vorgesetzter bezweifelte den zuletzt telefonisch von ihr mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Arbeitnehmerin. Diese erfolgte vier Tage lang. Beobachtet wurden u. a. das Haus der Mitarbeiterin, sie und ihr Ehemann mit ihrem Hund vor dem Haus und der Besuch der Arbeitnehmerin in einem Waschsalon. Im Rahmen der Überwachung wurden u. a. Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber von dem Detektiv übergebene Observationsbericht enthält elf Fotos, neun davon aus Videosequenzen.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos hilfsweise fristgerecht wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Ein Bandscheibenvorfall sei ausgeschlossen, wenn man sich bücken könne, um seinen Hund zu liebkosen bzw. in der Lage sei, mehrere Waschmaschinenladungen Wäsche in einem Waschsalon zu waschen. Die Mitarbeiterin hat sich gegen die ihr gegenüber ausgesprochenen Kündigungen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage gewehrt. Diese hat sie später u. a. um einen Zahlungsantrag ergänzt, mit dem sie einen Schmerzensgeldanspruch wegen der heimlichen Überwachung verfolgt.

Das Arbeitsgericht Münster (Az. 4 Ca 455/12) hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch hat das Arbeitsgericht in der I. Instanz abgewiesen. Das Berufungsgericht (Landesarbeitsgericht Hamm – Az. 1– Sa 312/13) hat der Klägerin in II. Instanz eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000,00 € zugesprochen. Hiergegen sind beide Parteien in Revision gegangen. Die Klägerin hielt nämlich ein Schmerzensgeld von über 10.000,00 € für angemessen. Dem hat das BAG in letzter Instanz eine klare Absage erteilt. Es hat festgestellt, dass die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen rechtswidrig war. Der Arbeitgeber hatte in dem zu beurteilenden Fall keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die Höhe des in II. Instanz ausgeurteilten Schmerzensgeldes wurde insoweit als angemessen erachtet.

Konsequenz für Arbeitgeber:

Heimliche Videoaufzeichnungen von Arbeitnehmern können allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn es berechtigte Zweifel an einer oder mehreren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gibt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz oder nach einem Streit um Urlaubsgewährung eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit angekündigt hat oder wenn er während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Tätigkeiten nachgeht, die mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar sind, wie etwa die schichtweise Verrichtung einer Nebentätigkeit. Ernsthafte Zweifel können sich auch ergeben, wenn ein Arbeitnehmer widersprüchliche Angaben zu seiner Arbeitsunfähigkeit macht oder wenn er einer Aufforderung zu einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht nachkommt.

Konsequenz für Arbeitnehmer:

Wer mit Krankheit droht, um einen Urlaub zu erzwingen, eine Versetzung oder die Zuweisung unangenehmer Arbeit zu verhindern, kann grundsätzlich fristlos gekündigt werden. In diesen Fällen besteht der Vorwurf nämlich in der unzulässigen Ausübung von Druck auf den Arbeitgeber, selbst wenn man als Arbeitnehmer im Anschluss an die Drohung tatsächlich erkrankt.

Das Vertrauensverhältnis kann auch dadurch zerstört werden, dass ein Arbeitnehmer bei einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Dies kann nicht nur durch eine Erwerbstätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber, sondern auch durch Freizeitaktivitäten geschehen, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind. Je nach der Art der Erkrankung können daher nächtliche Barbesuche, Besuche von Kinos oder Sportveranstaltungen nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

Rudolf empfahl, dies zu beachten und empfahl sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

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Armin Rudolf
Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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