Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.01.2020, AZ 7 Sa 217/19
Ausgabe: 3 – 2020
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Dezember 2018 – 20 Ca 7524/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Weitergabe der sich aus dem Tarifabschluss vom 01.07.2017 für den Einzelhandel ergebenden Entgelterhöhungen.
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Die Klägerin ist bei der Beklagten auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01.03.1988 (Bl. 5 – 6 d.A.), abgeschlossen mit der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH, als Filialleiterin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag nimmt die Tarifverträge des Einzelhandels in ihrer jeweils gültigen Fassung in Bezug. Die Klägerin, die seit 2004 Mitglied bei ver.di ist, wurde bis August 2017 einschließlich nach der Entgeltgruppe K3 Endstufe der Tarifverträge über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel in ihrer jeweiligen Fassung vergütet.
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Die H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH war auf der Grundlage eines seit dem 10.01.1986 bestehenden Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrages Teil der D. Holding AG. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages mit der Klägerin war sie Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels in Berlin Brandenburg e.V. Dieser Verband verabschiedete am 16. September 1998 eine Satzung, die in § 4 die Möglichkeit des Erwerbs einer OT- Mitgliedschaft vorsah. Eine solche beantragte die D. Holding AG für ihre Unternehmen ab 01.10.2000 mit Schreiben vom 20.12.1999 (Bl. 59 d.A.), unterzeichnet von einem Herrn P.. Mit Schreiben vom 27.12.1999 (Bl. 60 d.A.) bestätigte die Landesarbeitsgemeinschaft das Bestehen einer OT-Mitgliedschaft. Ob der Unterzeichner des Schreibens für die D. Holding AG vertretungsbefugt war, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Frage, ob die Satzung der Landesarbeitsgemeinschaft vom 16.09.1998 wirksam eine OT Mitgliedschaft vorgesehen hatte.
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Die Landesarbeitsgemeinschaft der Mittel-und Großbetriebe des Einzelhandels verschmolz mit Beschlusses vom 15.09.2009 mit dem Handelsverband Berlin-Brandenburg, der die Mitglieder der Landesarbeitsgemeinschaft ohne Aufnahmeverfahren zum 01.01.2010 aufnahm. Am 09.11.2010 beschloss der Handelsverband Berlin-Brandenburg seine neue Satzung, die zuletzt am 07.11.2016 geändert wurde und unter § 5 ebenfalls die Möglichkeit enthielt, als OT-Mitglied dem Verband beizutreten, wobei unter § 14 der Satzung für diese die Wahl zum tarif- und sozialpolitischen Ausschuss ausgeschlossen war. Wegen der weiteren Regelungen im Einzelnen wird auf die Satzung des Handelsverbands Berlin-Brandenburg vom 09.11.2010 Bezug genommen.
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Mit Datum vom 22.10.2013/30.10.2013 trafen die D. Holding AG und der Handelsverband Deutschland-Der Einzelhandel e. V (HDE, die Spitzenorganisationen des Einzelhandels) eine Vereinbarung über eine Mitgliedschaft der D. Holding AG und der ihr angeschlossenen Einzelhandelsunternehmen ohne Tarifbindung. Dabei trat die D. Holding AG ausdrücklich auch im Namen der in einer Anlage zu dieser Vereinbarung aufgeführten Einzelhandelsunternehmen auf, zu denen auch die H. Süßwarenfachgeschäfte zählte. Nach § 7 sollte diese Vereinbarung zum 01.10.2013 Inkrafttreten und alle bisher mit dem HDE bestehende Mitgliedschaftsvereinbarung ersetzen. Für die Einzelheiten dieser Vereinbarung wird auf Bl. 305 und 306 d.A. Bezug genommen.
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Nachdem zum 30.04. 2014 der Beherrschungs-und Ergebnisabführungsvertrag zwischen der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH und der D. Holding AG aufgehoben worden war, verschmolz die H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH mit der B. 13-500 GmbH, einer nicht tarifgebundenen Verwaltungsgesellschaft, als übernehmende Rechtsträgerin. Die B. 13-500 GmbH firmierte in die H. GmbH, die jetzige Beklagte, um. Die Eintragung der Verschmelzung für die H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH erfolgte am 10.06.2014 im Handelsregister, die Eintragung der Namensänderung sowie der Verschmelzung für die B. 13-500 GmbH erfolgte am 17.06.2014. Nach Sitzverlegung der H. GmbH von München nach Hagen wurde diese Gesellschaft am 03.07.2014 dort im Handelsregister eingetragen.
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Unter den Daten vom 16.07.2014/17.07.2014 und 21. 07. 2014 unterzeichneten die Geschäftsführer der H. Süßwaren GmbH, die zu diesem Zeitpunkt auch bereits als Geschäftsführer der Beklagten im Handelsregister eingetragen worden waren, mit dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen und dem Handelsverband Deutschland (HDE) folgende „Mitgliedschaftsvereinbarung zwischen der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH und dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit dem Handelsverband Deutschland (HDE)“:
§ 1
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Die Firma H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH erwirbt zum 02.05.2014 die Mitgliedschaft für ihre Filialen in den jeweils regional zuständigen Einzelhandelsverbänden, in deren Auftrag der Handelsverband Nordrhein-Westfalen (HV NRW) und der Handelsverband Deutschland (HDE) diese Vereinbarung schließen.
9
Durch diese Mitgliedschaftsvereinbarung wird eine Tarifbindung für die H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH ausgeschlossen.
10
Für die weiteren Einzelheiten dieser Vereinbarung wird auf die Anl. 17, Bl. 363 ff. d.A. Bezug genommen.
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Bis zum Tarifabschluss 01.07.2017 gab die Beklagte die Tariflohnerhöhungen an ihre Mitarbeiter weiter, stellte dies dann aber ein und zahlt seit 01.09.2017 ihren Mitarbeitern Arbeitsentgelt nach Maßgabe des bis zum 01.07.2017 geltenden Entgelttarifvertrags.
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Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht am 31.05.2018 eingegangenen und mehrfach erweiterten Klage begehrt die Klägerin unter Bezugnahme auf die Tarifverträge für den Einzelhandel die Zahlung ihres Arbeitsentgeltes nach Maßgabe der zum 01.09.2017 in Kraft getretenen Tariflohnerhöhung für den Einzelhandel Berlin für die Monate September 2017 bis Oktober 2018.
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Nachdem die Parteien über die ebenfalls streitige Zahlung einer Sonderzuwendung für 2017 einen Teilvergleich abgeschlossen haben, hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 21. November 2018, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne von der Beklagten nicht die Zahlung der tariflichen Gehaltserhöhungen ab September 2017 verlangen, weil diese Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung finden würden. Es fehle dazu an der beiderseitigen Tarifbindung, nachdem die Beklagte eine wirksame OT Mitgliedschaft begründet habe. Die Satzung entspreche bei ihren Regelungen zur OT-Mitgliedschaft den Maßgaben des Bundesarbeitsgerichts. Insbesondere sei danach ein Einfluss der Beklagten auf tarifpolitische Entscheidungen ausgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Gegen dieses der Klägerin am 03.01.2019 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 20.01.2019 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 03.04.2019 am 03.04.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
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Die Klägerin und Berufungsklägerin geht – wie schon in der ersten Instanz – weiterhin davon aus, die Beklagte sei kraft Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge gebunden. Einen wirksamen Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft habe es nicht gegeben. Soweit erstmalig mit Schreiben vom 20.12.1999 ein Antrag auf OT-Mitgliedschaft gestellt worden sei, fehle es an der Vertretungsberechtigung des Mitarbeiters, der diesen Antrag unterzeichnet. Zudem sei der Antrag nicht vom Arbeitgeberverband angenommen worden, da das damalige Schreiben des Arbeitgeberverbandes vom 27.12. 1999 nicht an die Beklagte, sondern an die D. Holding AG gerichtet gewesen sei. Die D. Holding AG habe jedoch einen Wechsel der Beklagten in eine so genannte OT-Mitgliedschaft nicht herbeiführen können. Jedenfalls aber sei die OT-Mitgliedschaft rechtsfehlerhaft, weil die Satzung keine ausreichende Trennung der OT-Mitglieder vom Tarifvertragsgeschehen vorsehe. Im Grunde sei schon eine OT-Mitgliedschaft überhaupt abzulehnen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.12.2018 – 20 Ca 7524/18 – teilweise abzuändern und
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1. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Tariferhöhung in Höhe von 605,88 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Tariferhöhung in Höhe von 134,64 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
20
3. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Tariferhöhung in Höhe von 67,32 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
21
4. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Tariferhöhung in Höhe von 121,36 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
22
5. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Tariferhöhung in Höhe von 256,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und unter Einreichung zahlreicher Handelsregisterauszüge vor, sie sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied mit Tarifbindung bei einem Arbeitgeberverband gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in dem mündlichen Verhandlungstermin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weitergabe der ab 01.09.2017 geltenden tariflichen Entgelterhöhungen. Dieser Tarifvertrag findet keine normative Anwendung auf das Arbeitsverhältnis, da nicht beide Seiten tarifgebunden sind (§ 4 Abs. 1 TVG). Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit Tarifbindung erworben, die eine normative Wirkung der geltenden Tarifverträge begründen könnte.
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1. Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseitigen Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Tarifgebunden sind gemäß § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist.
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2. An dieser beiderseitigen Tarifgebundenheit fehlt es. Zwar ist die Klägerin unstreitig Mitglied der Gewerkschaft. Eine Mitgliedschaft der Beklagten mit Tarifbindung ließ sich indes nicht feststellen. Soweit die Beklagte, auf die es nach der Verschmelzung und dem Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin gemäß § 613 a BGB allein ankommt, Mitglied im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung geworden ist (sog. OT-Mitglied), erweist sich diese OT-Mitgliedschaft als rechtswirksam, mit der Folge, dass die Beklagte gerade nicht an die Tarifverträge des Einzelhandels normativ gebunden ist.
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2.1 Grundsätzlich begründet die Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Arbeitgeberverband die Gebundenheit an die von dem Verband abgeschlossenen Tarifverträge (§ 3 Abs. 1 TVG). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG vom 4 AZR 797/13 – mwN), der sich die erkennende Kammer anschließt, kann ein Arbeitgeberverband jedoch aufgrund der ihm durch Art. 9 Abs. 3 GG verliehenen Satzungsautonomie (BVerfG 1. März 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 – zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 50, 290) in seiner Satzung einen gesondert geregelten Status der Mitgliedschaft vorsehen, der eine Gebundenheit an die vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge ausschließt (BAG 19. Juni 2012 – 1 AZR 775/10 – Rn. 16, BAGE 142, 98; 22. April 2009 – 4 AZR 111/08 – Rn. 27, BAGE 130, 264; 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 – Rn. 25 ff., BAGE 127, 27; 18. Juli 2006 – 1 ABR 36/05 – BAGE 119, 103). Eine solche Regelung widerspricht regelmäßig weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht (dazu ausf. BAG 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 – Rn. 26 ff., 33 ff.). Die Begründung einer OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband setzt voraus, dass es für diese Mitgliedschaftsform zu dem Zeitpunkt, in dem ein bisheriges „Vollmitglied“ eine reine OT-Mitgliedschaft begründen will, eine wirksame satzungsmäßige Grundlage gibt (BAG 26. August 2009 – 4 AZR 294/08 – Rn. 32 – EzA § 3 TVG Nr 33). Dazu muss die Satzung wegen des im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie erforderlichen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifgebundenheit vorsehen (vgl. nur BAG 22. April 2009 – 4 AZR 111/08 – Rn. 27 f., BAGE 130, 264; bestätigt durch BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09 -; BAG 21.01.2015 – 4 AZR 797/13). So darf es OT-Mitgliedern nicht möglich sein, unmittelbar Einfluss auf tarifpolitische Entscheidungen des Verbandes zu nehmen. Sie dürfen nicht in Tarifkommissionen entsandt werden und den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds auszuschließen. Ein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme oder Ablehnung von Tarifverhandlungsergebnissen ist auszuschließen. Die Mitwirkung von OT-Mitgliedern bei tarifpolitischen Fragen mit nur beratender Stimme ist hingegen unbedenklich (BAG 21.01.2015 – 4 AZR 797/13 – Rn 19 – BAGE 150, 304-329 mwN).
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2.2 Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Tarifgebundenheit der Beklagten, die eine normative Wirkung des in Anspruch genommenen Entgelttarifvertrages begründen könnte. Die Beklagte hat allenfalls eine OT-Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband begründet, die sich nach der Satzung des Einzelhandelsverbandes Berlin-Brandenburg als rechtswirksam erweist.
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2.2.1 Darlegungs- und beweispflichtig für die beiderseitige Tarifgebundenheit ist im Prozess nach den allgemeinen zivilprozessualen Regelungen derjenige, der seinen Anspruch auf die tariflichen Normen stützt (vgl. BAG 18.08.1999 – 4 AZR 247/98 – AP TVG § 3 Nr. 22). Da jedoch beide Seiten in der Regel keine Kenntnis davon haben, ob die Gegenseite tarifgebunden ist, gilt eine abgestufte Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO). Behauptet eine Partei, dass der Gegner Mitglied einer tarifvertragsschließenden Partei ist, muss die Gegenseite dies substantiiert bestreiten (ErfKo-Franzen § 3 TVG Rz. 45).
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2.2.2 Die Klägerin hat eine Mitgliedschaft der Beklagten im Arbeitgeberverband unter Hinweis auf die prozessuale Vertretung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht durch Verbandsvertreter zunächst hinreichend substantiiert behauptet. Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 4 ArbGG können Verbände nur ihre Mitglieder vor der Arbeitsgerichtsbarkeit vertreten. Insofern spricht der Umstand der Vertretung dafür, dass die Beklagte Mitglied im Handelsverband Berlin-Brandenburg ist.
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Diesem Vortrag ist die Beklagte jedoch ihrerseits substantiiert mit ihren Darlegungen zu den Vereinbarungen einer OT-Mitgliedschaft der H.-Süßwarenfachgeschäfte GmbH entgegengetreten, der von der Klägerin nicht bestritten wurde. Danach hat die Beklagte allenfalls eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung begründet.
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Mit Vereinbarung vom 16.07.2014/17.07.2014 und 21.07.2014 unterzeichneten die Geschäftsführer der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH rückwirkend zum 02.05.2014 eine Vereinbarung über eine OT-Mitgliedschaft der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH in den jeweils regional zuständigen Einzelhandelsverbänden, in deren Auftrag der Handelsverband Nordrhein-Westfalen (HV-NRW) und der Handelsverband Deutschland (HDE) diese Vereinbarung geschlossen haben. Bedenken an der Wirksamkeit dieser Vereinbarung bestehen nicht und werden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Mit dieser Vereinbarung wurde die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH, OT-Mitglied auch im Handelsverband Berlin-Brandenburg, dem für die Filiale der Klägerin zuständigen Arbeitgeberverband. Nach § 3 Nr. 3 der Satzung des Verbandes führt die zentrale Mitgliedschaft im HDE zugleich zu einer Mitgliedschaft im Handelsverband Berlin-Brandenburg. Mit der (erneuten) Vereinbarung einer OT-Mitgliedschaft wurden zugleich etwa noch bestehende frühere Vereinbarungen über eine Mitgliedschaft der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH mit Tarifbindung abgeändert. In der Vereinbarung kommt hinreichend zum Ausdruck, dass die H. Süßwaren Fachgeschäfte GmbH Mitglied ohne Tarifbindung sein wollte. Auf den Streit der Parteien über frühere Beitritte und OT-Mitgliedschaften kam es daher nicht mehr an.
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Diese Mitgliedschaft bestand mit Eintragung der Beklagten und der Verschmelzung der Beklagten mit der H. Süßwarenfachgeschäfte GmbH für die Beklagte fort. Dies ergibt sich zum einen aus der Auslegung der Vereinbarung, zum anderen aus der Satzung des HBB. Die Vereinbarung sollte nicht nur für die H. Süßwarenfachgeschäfte abgeschlossen werden. Dies zeigt sich schon darin, dass sie erst nach der Verschmelzung abgeschlossen wurde, aber auf Dauer gedacht war, also auch die Zeit nach der Verschmelzung umfassen sollte. Dazu waren die beiden Unterzeichner auf Arbeitgeberseite berechtigt. Sie waren bereits bei Unterzeichnung Geschäftsführer der Beklagten. Zudem sieht die Satzung des Handelsverbands Berlin-Brandenburg vor, dass die Mitgliedschaft bei Fortbestand der Identität des Unternehmens im Falle des Übergangs durch Erbfolge, Schenkung oder Rechtsgeschäft bestehen bleibt (§ 6 b Satz 2). Damit ist für Fälle wie hier die Regelung in § 38 BGB, wonach die Mitgliedschaft nicht übertragbar und nicht vererblich ist, abbedungen.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es auch dann an einer Tarifbindung der Beklagten fehlen würde, wenn die Vereinbarung ausschließlich für die H. Süßwarenfachgeschäfte abgeschlossen worden wäre und nicht auf die Beklagte übergegangen wäre. Denn dann wäre die Beklagte mangels Erwerbs einer Mitgliedschaft durch Beitritt oder Vereinbarung nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband geworden. Etwa geltende Tarifverträge wären nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch statisch anwendbar (ErfKo UmwG § 20 Rn 4) und könnten zur Begründung des jetzigen Anspruchs nicht mehr herangezogen werden. Soweit das Bundesarbeitsgericht in der von der Klägerin zitierten Entscheidung vom 24.06.1998 (4 AZR 208/97 – NZA 1998 1346) davon ausgegangen ist, ein Firmentarifvertrag gehe nach § 20 Abs. 1 UmwG auf den Übernehmer über, ist dieser Fall hier nicht anwendbar, da es unstreitig um die Anwendbarkeit von Verbandstarifverträgen geht, deren Geltung ausschließlich über die Mitgliedschaft des Arbeitgebers vermittelt wird.
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2.2.3 Der Erwerb der OT-Mitgliedschaft war wirksam. Die im Zeitpunkt der Vereinbarung geltende Satzung des Handelsverbandes entspricht den oben genannten Maßgaben, um eine unmittelbare Einflussnahme der OT-Mitglieder am Tarifgeschehen zu vermeiden. Das Berufungsgericht nimmt auf die ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts insoweit Bezug und sieht von einer eigenen, lediglich wiederholenden Begründung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
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2.3 Ist die Beklagte aber nur Mitglied ohne Tarifbindung im Arbeitgeberverband, findet der von der Klägerin für den Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhungen ab September 2017 herangezogene Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel vom 1. Juli 2017 keine normative Anwendung auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin. Den erstinstanzlich noch geltend gemachten Anspruch aus einzelvertraglicher Vereinbarung macht die Klägerin im Berufungsverfahren (zu Recht) nicht mehr geltend.
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3. Aus diesen Gründen war die Klage unbegründet, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, mit der Folge, dass die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
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4. Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.
Weitere Informationen: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brande…