(Stuttgart)  Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Zur Entgegennahme von Mitteilungen über die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ist nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG der Vorsitzende des Betriebsrats oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter berechtigt.

Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Vielzahl von Entlassungen (Massenentlassung), hat er diese nach Maßgabe des § 17 KSchG der Agentur für Arbeit anzuzeigen und der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Im Insolvenzfall ersetzt gemäß § 125 Abs. 2 InsO ein zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats, wenn in dem Interessenausgleich die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind.

Darauf verweist der Kieler Fachanwalt für Arbeitsrecht Jens Klarmann, Vizepräsident des VdAA  – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 7. Juli 2011 – 6 AZR 248/10.

Die Klägerin war seit Februar 2006 in Leipzig in einem von 47 Modefachgeschäften der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Am 1. November 2008 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung der Insolvenzmasse unter der Aufsicht eines Sachwalters angeordnet. Zur wirtschaftlichen Sanierung plante die Beklagte ua. die Schließung von 24 Filialen. Am 12. November 2008 lud der Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrats in Abstimmung mit der Beklagten die Betriebsratsvorsitzenden der Filialen und ihre Stellvertreter zu einer Betriebsräteversammlung am 17. November 2008 nach Hamm ein.

Als Tagesordnungspunkte waren ua. Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen vorgesehen. Außerdem wurde im Einladungsschreiben die Übergabe der Anhörungen zu den Kündigungen durch die Beklagte angekündigt. Am 17. November 2008 kam zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Beklagten mit Zustimmung des Sachwalters ein Interessenausgleich zustande, in dem ua. die Schließung der Filiale Leipzig vorgesehen war und in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden sollte, namentlich bezeichnet waren. Da der Betriebsratsvorsitzende der Filiale Leipzig nicht zur Betriebsräteversammlung in Hamm erschienen war, händigte dort die Beklagte seiner Stellvertreterin das Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin aus. Ihrer Massenentlassungsanzeige vom 20. November 2008 fügte die Beklagte den mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleich bei und kündigte nach Eingang des Bescheids der Agentur für Arbeit das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit einem Schreiben vom 26. November 2008 ordentlich zum 28. Februar 2009. Die Klägerin hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Beklagte hätte das Anhörungsschreiben dem Betriebsratsvorsitzenden übergeben müssen. Die Massenentlassung habe die Beklagte der Agentur für Arbeit nicht ordnungsgemäß angezeigt, weil sie ihrer Anzeige keine Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats der Filiale Leipzig beigefügt habe.

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin hatte wie in den Vorinstanzen auch vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg, so Klarmann.

Der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale Leipzig war am 17. November 2008 mangels Teilnahme an der Betriebsräteversammlung in Hamm tatsächlich verhindert, das Anhörungsschreiben zur Kündigung entgegenzunehmen. Deshalb war seine Stellvertreterin nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zur Entgegennahme berechtigt, und das Anhörungsschreiben ist dem Betriebsrat der Filiale Leipzig am 17. November 2008 zugegangen. Die Beklagte hat die Kündigung vom 26. November 2008 damit erst nach Ablauf der Frist von einer Woche erklärt, innerhalb der ein Betriebsrat dem Arbeitgeber Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mitteilen kann. Eine Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats der Filiale Leipzig musste die Beklagte ihrer Massenentlassungsanzeige nicht beifügen. Für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung gelten nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren. Maßgebend ist, dass der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für den Abschluss des betriebsübergreifenden Interessenausgleichs zuständig war und in diesem die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet waren, denen gekündigt werden sollte. Damit hat der mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 2 InsO die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt.

Klarmann empfahl, dies beachten sowie in Zweifelsfällen um Rechtsrat nachzusuchen, wobei er u. a. dazu auch auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.    

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Jens Klarmann
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